Symposium 2022

6. Symposium der Castillo-Morales® Vereinigung e.V. „Compartir la vida“

Vom 20.-22.Mai 2022 fand unter der Schirmherrschaft der argentinischen Vereinigung Cruz del Sur in Kassel unser 6. Symposium statt.
Über 100 Teilnehmer*innen hörten in diesen Tagen sehr interessante Vorträge und Workshops zu dem Titel
„compartir la vida“ teilen-(sich) mitteilen – teilhaben
und kamen gut miteinander ins Gespräch. Alle Besucher*innen haben es sehr genossen, dass die Veranstaltung in Präsenz stattfinden konnte.

Sowohl nach den Vorträgen als auch in den Workshops und in den Pausen fand ein reger Austausch statt nach dem Motto „Lo primero de lo primero es la comunicación“. Für alle Fragen stand unser Tagungsbüro mit Anne Gambeck und Undine Berger jederzeit zur Verfügung.

Das genaue Programm und die Referent*innen entnehmen Sie bitte dem hier angefügten ➜ Programm.

Begonnen hat das Symposium am Freitagabend mit einem Vortrag von Ulrike Hirsch und Christiane Türk zum Thema

„Kommunikation: Ein Baustein der Teilhabe und ein wichtiger Aspekt im Castillo Morales®-Konzept“.

Der Kommunikationsbegriff, so wie er im Castillo Morales®-Konzept verstanden wird aber auch welche Bedeutung Kommunikation in der Teilhabe haben kann wurde ausführlich beleuchtet. Frau Türk und Frau Hirsch spannten mithilfe von historischen und aktuellen Fotos und Videos einen Bogen von Kommunikationsformen und -bedarfen zu therapeutischen Hilfen, unterstützter Kommunikation, der Wechselwirkung von Kommunikation und dem Prozess der Aufrichtung unter Einbeziehung orofazialer Funktionen.

Katrin Brockmöller aus dem Vorstand der
Castillo Morales® Vereinigung e.V. eröffnete
am Samstagmorgen offiziell das Symposium.

Aus Argentinien hat Jose Gonzalez uns eine Videobotschaft geschickt und allen im Namen der argentinischen Vereinigung Cruz del Sur ein gutes Gelingen des Symposiums gewünscht

Für den Samstag wurde ein buntes Programm aus fünf Vorträgen zusammengestellt.

Im ersten Vortrag beleuchtete Ulrike Wohlleben das Thema

„Teilen: doppelt oder halb so viel“

 – den Leitgedanken des Symposiums – das Teilen, Sich-Mitteilen, Teilhaben aus der Sicht des Kindes. Anhand von anschaulichen Videobeispielen hat sie aufgezeigt, teilnehmend zu beobachten und angeregt, uns für ein geteiltes Miteinander zu öffnen, das Teilen von Emotionen und Aktivitäten als vom Kind initiierte Fähigkeit zu betrachten, um sich auf die Idee des Gegenübers einlassen zu können. Alle konnten mit ihren Schlussfolgerungen mitgehen „selber machen heißt nicht, alleine machen“ und „Teilen bedeutet doppelt so viel“.

Den folgenden Vortrag hielt Frau Prof. Dr. Nicole Strüber zum Thema

„Vertrauen und Berührungen in der Arbeit mit belasteten Kindern – welche Rolle spielt das Gehirn dabei?“

Frau Dr. Strüber stellte zahlreiche Erkenntnisse und Forschungsergebnisse vor. Diese zeigen, dass vorgeburtliche und/oder nachgeburtliche Stresserfahrungen die Entwicklung von Gehirn und Psyche in einer Weise prägen, dass hierdurch die spätere Fähigkeit zur effizienten Stressbewältigung eingeschränkt und durch Erfahrungen aber auch durch genetische Disposition die Entstehung negativer Befindlichkeiten oder gar psychischer Erkrankungen begünstigt werden kann.

Erfahrungen feinfühliger Fürsorge sorgen für regelmäßige Oxytocin Ausschüttung und können so selbst bei vorgeburtlichen Belastungen negative Auswirkungen auf die Hirnentwicklung ausgleichen. Oxytocin Freisetzung im Kind als Ergänzung zu sicheren Bindungserfahrungen oder zum Ausgleich früher defizitärer Erfahrungen können das Kind mit wichtigen psychischen Ressourcen ausstatten und die Grundlage für eine hohe Resilienz schaffen.

Im dritten Vortrag

„Castillo meets Osteopathie“

hat Stephan Klemm seine patientenbezogene Herangehensweise, die Prinzipien der osteopathischen Behandlung als auch die Schnittstellen zum Castillo Morales Konzept dargestellt. Hierfür betrachteten wir somatosomatische als auch somatoviszerale Reflexbögen, das Modell des „hyperaktiven Segments“ und lernten fasziale Verbindungen kennen. Er stellte dar, wie besonders bei hochzervikalen und die Schädelbasis betreffenden Segmentstörungen ein gestörtes Saug-, Trink- oder Schluckverhalten die Folge sein können und dadurch eine eingeschränkte Teilhabe sowie Bindungsprobleme durch vermehrtes Schreiverhalten entstehen können.

Am Videobeispiel eines 8-Monate alten Säuglings wurde eine osteopathische Untersuchung und Behandlung eindrücklich gezeigt. Eine im besten Falle zweimalige Behandlung kann die Funktionsstörung aufheben, bestehende Schwierigkeiten beim Trinken und Schlafen reduzieren und durch die Arbeit eines erfolgreichen multiprofessionellen Teams verbesserte Haltungskontrolle, Bindung und Teilhabe ermöglichen.

In einem sehr bewegenden persönlichen Vortrag sprach Frau Christine Wagner-Behrendt unter dem Titel

Es ist, was es ist, sagt die Liebe (Erich Fried) – gelebte Grenzen mit einem beatmeten Kind“

über das Leben mit ihrem jetzt 21jährigen Sohn nach einem schweren Fahrradunfall im Alter von 5 Jahren, wie sie ihren Weg als Familie gefunden haben und auch heute trotz aller Schwierigkeiten kraftvoll leben können. Sie engagiert sich in der Beratungsstelle des Vereins IntensivLeben, um andere Familien bei der Bewältigung ihres Alltags mit einem intensivpflichtigen Kind zu unterstützen und gemeinsam mit ihrem Mann setzt sie sich sehr engagiert für diese spezielle Patientengruppe und ihre Angehörigen auch politisch ein.

Copyright © Castillo Morales® Vereinigung e. V.

Dr. Barbara Klein hat auf kurzweilige und intensive Art den Tag mit einer Entdeckungsreise zum Thema

Begegnung mit verschiedenen Kulturen im medizinisch-therapeutischen Kontext“

beendet. Sie berichtete von Missverständnissen, die häufig aus den unterschiedlichen kulturellen Kontexten entstehen und sensibilisierte dafür, im Umgang mit unserem Patienten*innen und deren Familien aus anderen Kulturkreisen die differente Prägung (Individualismus – Kollektivismus) ebenso zu berücksichtigen wie ihre Zugehörigkeit zu einer high context Kultur mit indirekten Kommunikationsstil oder einer low context Kultur mit einem direkten Kommunikationsstil.

Sie erläuterte, wie die Erfahrungen, die Dr. Rodolfo Castillo Morales im Zusammenleben mit verschiedenen Ethnien gesammelt hat, das Konzept beeinflusst haben und durch das Miteinandersein, das Miteinanderteilen, der Respekt gegenüber der Gemeinschaft und der Umwelt und daher eine kultursensible Herangehensweise in der Arbeit mit unseren Patient*innen und deren Familien erforderlich und wünschenswert ist.

Durch den Tag moderierte erfrischend und spritzig Bernd Gieseking, erfolgreicher Kabarettist und Autor, ohne den Vorträgen die Tiefe zu nehmen.

Am Sonntag fanden sechs Workshops statt.

Die Referent*innen haben sehr praxisnah und spannend folgende Themen aufgearbeitet:

In dem Workshop „VerSTEHEN & BeGREIFEN“ haben Katrin Brockmöller und Ina v. Löbbecke sehr anschaulich die wechselseitige Bedeutung von Haltungskontrolle, Aufmerksamkeit und Handeln aufgezeigt. Aufbau von Haltungskontrolle braucht Bewegung. Wahrnehmungseinschränkungen und eine ungünstige Umgebung können dies beeinflussen. In Selbsterfahrungen konnten die Teilnehmer*innen dies selbst erspüren und Ideen zur Veränderung für die alltägliche Umgebungsgestaltung und in der Therapie entwickeln, um für das Kind gute Voraussetzungen zu schaffen.

„Der Anfang soll gut sein“ – beziehungsorientiertes Arbeiten mit zu früh geborenen Kindern und kranken Säuglingen sowie deren Eltern im Castillo Morales®-Konzept. In diesem Workshop beleuchteten die Referentinnen Tina Brodisch und Christine Lorenz-Wiegand die Wichtigkeit des familienorientieren Arbeitens in der Neonatologie und in der ersten Zeit der Kinder zu Hause. Sie stellten die Wahrnehmung und Sicht des Kindes und der Eltern gegenüber und verdeutlichten den Teilnehmer*innen mit Hilfe von Selbsterfahrungen und im gemeinsamen Austausch die Wichtigkeit der frühen therapeutischen Intervention.

Kerstin Gehlhaar und Angela Salm stellten in dem Workshop „Sonde: Segen oder Fluch?  Was bedeutet das für Angehörige/Eltern und Betroffene/Kinder?“ verschiedene Möglichkeiten aus dem Castillo Morales®-Konzept dar, wie Menschen mit Sonde über das Ernährungstechnische hinaus auch am gemeinsamen sozialen Erleben teilhaben können, denn beim Essen und Trinken geht es nicht nur um Sättigung, Wohlbefinden und Gedeihen, sondern auch um Gemeinsamkeit und sinnliches Erleben.

Christine Wagner-Behrendt als Mutter eines beatmeten Sohnes und Tanja Scheel, Kinderärztin, zeigten in ihrem Workshop „Sonde und trotzdem lecker Essen? Selberkochen für Kinder mit Sonde“ Möglichkeiten auf, Sonden pflichtige Kinder mit selbst hergestellter Sondenkost gesund ernähren zu können. Gemeinsam wurde Essen zubereitet, probiert und erläutert, welche Nahrungsmittel geeignet und welche Geräte nötig sind.

„Pizza statt Pudding“ – Kauen lernen ist komplex! Angela Hoffmann-Keining und Susanne Magin veranschaulichten in diesem Workshop die physiologischen und funktionellen Grundlagen der sensomotorischen Entwicklung, die für den Prozess des Kauens benötigt werden. Sie stellten dar, welche Fähigkeiten und Schwierigkeiten Kinder mit Hypotonie beim Essen festerer Konsistenzen haben können und zeigten auf, durch welche Möglichkeiten und Hilfestellungen im Alltag, zu Hause, im Kindergarten, in der Schule und im therapeutischen Kontext das Kauen lernen unterstützt werden kann.

Stephan Klemm und Jessika Marwan stellten in dem Workshop „Compartir la vida – Wissen miteinander teilen oder Castillo meets Osteopathie“ verbindende Elemente zwischen dem Castillo Morales®-Konzept und der Osteopathie theoretisch und praktisch in Bezug zueinander. Durch praktische Anleitung konnten die Teilnehmer*innen am eigenen Körper den Einfluss auf die veränderte segmentale und regionale Beweglichkeit, die segmentale und bestenfalls zentrale Tonusregulation, sowie verbesserte Perfusion des Bindegewebes erleben. Sie lernten harmonische Techniken als weiteres praktisches Werkzeug für die Körperarbeit und Ideen für die individuelle Adaptation der therapeutischen Maßnahme „Modellieren des Schultergürtels“ kennen.

Am Sonntagmittag konnten wir viele zufriedene Teilnehmer*innen verabschieden und hoffentlich voller neuer Anregungen und Impulse in ihren therapeutischen Alltag schicken.

Wir bedanken uns herzlich bei den Referent*innen, den Organisator*innen, dem Moderator, den Fotografinnen Dr. Angelika Enders und Tina Brodisch, die uns die Fotos zur Verfügung gestellt haben, Anne Gambeck und Undine Berger im Tagungsbüro sowie den interessierten aufgeschlossenen Teilnehmer*innen.

Alle haben zum guten Gelingen des Symposiums beigetragen.

Heike Mody und Christiane Türk


Wer mehr über unsere Symposien wissen will, hier geht es zu einem Bericht über unser Symposium 2017.